aus dem Archiv: Lebenskunst

Der Alltag ist zurück. Diese Woche hat die Schule wieder begonnen. Vorbei sind wunderbare Sommerwochen, in der ein anderer Rhythmus den Takt angab als sonst: Endlich war Zeit für die Badi oder den Emmenstrand, für Stunden gemütlich im Garten, auf dem Balkon oder wo auch immer. Dazwischen mal eine Velotour oder einen Ausflug machen. Vielleicht war endlich mal Zeit, das Buch zu lesen, das schon lange darauf gewartet hatte. Oder es gab sogar die Möglichkeit, in die Ferien zu reisen…

Und jetzt hat uns der Alltag wieder. Mehr als einmal hörte ich den Wunsch, dass sich doch etwas von diesem unbeschwerten Sommergefühl hinüber retten liesse. Wie schön es wäre, wenn dieser gute Rhythmus nicht gleich wieder von dem alt vertrauten Takt überdeckt wird, in dem sich der Alltag abspielt.

In unserer schnelllebigen Zeit wird es zur Lebenskunst, für sich den Lebensrhythmus zu finden, der gut tut und Freude macht. Der sich an verschiedene Situationen anpassen kann. Ein Grundgefühl, das nicht nur in Ferien und Freizeit gelingen, sondern auch im Alltag als runde Sache erlebt werden kann. Damit wir den Alltag haben und nicht umgekehrt, der Alltag uns hat. In einem Lied von Gerhard Schöne klingt eine Weisheit zum Lebensrhythmus an, mit der auch der Alltag in einem guten Takt bleiben kann. Und das nicht nur bei Lebenskünstlern:

«Ein Mann kommt auf einen Blitzbesuch zu seinem Vater. Der Alte füttert gerade die Katzen. „Tag, ich bleib nicht lange. Hab eigentlich gar keine Zeit. Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich hetze mich ab – und schaffe nichts. Ich bin nur noch ein Nervenwrack. – Woher nimmst du eigentlich deine Ruhe?“

Der Alte schaut den Jungen an und sagt:

„Wenn ich schlafe, schlafe ich.

Wenn ich aufstehe, steh ich auf.

Wenn ich gehe, gehe ich.

Wenn ich esse, esse ich.

Wenn ich schaffe, schaffe ich.

Wenn ich plane, plane ich.

Wenn ich spreche, spreche ich.

Wenn ich höre, höre ich.“

„Mann, was soll der Quatsch!“ antwortet der Junge. „Das alles mache ich doch auch. Trotzdem finde ich keinen Augenblick Ruhe.“

 

Der Alte kratzt sich am linken Ohr und sagt:

„Hör gut zu:

Wenn du schläfst, stehst du schon auf.

Wenn du aufstehst, gehst du schon.

Wenn du gehst, dann isst du schon.

Wenn du isst, dann schaffst du schon.

Wenn du schaffst, dann planst du schon.

Wenn du planst, dann sprichst du schon.

Wenn du sprichst, dann hörst du schon,

wenn du hörst, dann schläfst du.

Aber wenn ich schlafe, dann schlafe ich…»

Pfarrer Frank Naumann
in: Wort der Woche, d’Region, 33,2015