Bla bla bla

Mit diesen neun Buchstaben überschrieb der Chef eines grossen Schweizer Unternehmens sein Editorial. In den darauf folgenden Sätzen fragte er sich, ob Editorials überhaupt je gelesen würden. Nicht nur in seinem Kundenmagazin, sondern auch sonst in Zeitschriften und Drucksachen. Er habe bei sich selbst die Erfahrung gemacht, dass er das Editorial meistens überblättere und im Inhaltsverzeichnis schauen würde, was sich zu lesen lohne. Was wäre, fragte er sich, wenn es vielen aus seiner Kundschaft und den Mitarbeitenden ähnlich ginge? Wofür machen sich er und viele anderen immer wieder ans Schreiben einer gewinnenden Einleitung oder Begrüssung, wenn es kaum gelesen würde? Vielleicht müsste er einfach mal die ganze Spalte mit „bla bla bla“ füllen und schauen, ob jemand reagiert….
Zum Glück lautete die Überschrift „bla bla bla“. Das machte mich neugierig. Sonst wäre es mir genauso gegangen wie ihm, und ich hätte direkt zum Inhaltsverzeichnis weitergeblättert. Da geht es einem wie mir, dachte ich, der nimmt sich beim Lesen auch keine Zeit für den Einstieg. Gleichzeitig gefiel mir seine Frage: Was braucht es, damit er gelesen wird? In der darauffolgenden Zeit machte ich einen Selbstversuch und las viele Editorials, Begrüssungen und Einleitungen, dazu auch Kolumnen. Bei denen, die mich auf irgendeine Art überraschten, blieb ich hängen und las meist bis zum Ende. Besonders angesprochen haben mich die, die eine Geschichte erzählt haben.
Eine, die von der Kraft von Geschichten erzählt, ist mir in Erinnerung geblieben. Sie stammt von Martin Buber und ist für mich alles andere als bla bla: Man bat einen Rabbi, eine Geschichte zu erzählen. Der Grossvater des Rabbis war Schüler eines grossen Meisters gewesen. „Eine Geschichte“, sagte er, „soll man so erzählen, dass sie selber Hilfe sei.“ Und er erzählte: „Mein Grossvater war lahm. Einmal bat man ihn, eine Geschichte von seinem Lehrer zu erzählen. Da erzählte er, wie sein Meister beim Beten zu hüpfen und zu tanzen pflegte. Mein Grossvater stand da und erzählte. Und die Erzählung riss ihn so mit, dass er hüpfend und tanzend zeigen musste, wie der Meister es gemacht hatte. Von der Stunde an war er geheilt. So soll man Geschichten erzählen.“

Pfarrer Frank Naumann
in: Wort der Woche, d’Region, 32, 2022