Licht an dunklen Tagen

Vorgestern, am Ewigkeitssonntag, gedachten wir nach evangelischer Tradition den Verstorbenen. Viele Angehörige kamen zusammen, weil sie einen Verlust erlitten hatten und noch immer deutlich spüren, wer fehlt. Der eigene Lebensweg ist anders geworden, weil Menschen aus unserer Mitte gestorben sind. Jemand fehlt, der mitgegangen ist und Wege mitgeprägt hat. Manche wurden unvermittelt aus dem Leben gerissen, andere nach einer Leidenszeit erlöst.

An Gedenktagen wie dem Ewigkeitssonntag wird nochmals Vieles präsent: Vor dem inneren Auge sieht man wieder frühere Erlebnisse und das Herz spürt den Verlust deutlich. Da sind Gefühle, die viel von Trauernden abverlangen: neben gefassten Momenten ist man immer wieder aufgewühlt, man vermisst die Verstorbenen. In der Zeit der Trauer kommen neben Trost und Dank manchmal auch Erinnerungen oder Fragen, die schmerzen.

Immer wieder höre ich und erlebe es bei mir selbst: viele Erinnerungen kommen auf dem Weg in die Zukunft mit. Mit ihnen begleitet uns Wertvolles, das wir bewahren können. Der Kirchenvater Augustin fasste das mit folgenden Worten zusammen: «Der Mensch, den wir lieben, ist nicht mehr da, wo er war, aber überall, wo wir seiner gedenken.»

Im Erinnern liegt grosse Kraft und Trost. Vieles bleibt. Kein Tod kann dies nehmen. Erlebnisse der gemeinsamen Wegstrecke behalten ihren Wert oder gewinnen noch einmal ganz neu an Bedeutung. Zwischen all den einzelnen Erinnerungsspuren bleibt deutlich, was Menschen in Liebe miteinander verbunden hat. Im liebevollen Gedenken wachsen Trost und Dank. Sie geben Kraft für den Weg, den man seit dem Abschied beginnen musste. Manchmal gelingt das schon, andere Male hat man den Eindruck, es bleibe schwer.

Mit all dem sind wir nicht allein unterwegs. Wir sind in Freud und Leid mit anderen gemeinsam auf dem Weg (auch wenn die Pandemie das erschwert hat). Und: Wir werden von Gottes Kraft begleitet. Der Barmherzige steht uns gerade auch in schweren Zeiten zur Seite. Er richtet auf und tröstet. Der Ewige gibt Licht mit, das dunkle Tage erhellt: «Dein Wort leuchtet mir dort, wo ich gehe; es ist ein Licht auf meinem Weg.» (Psalm 119,105)

An das Licht vom Leben erinnert jede Kerze, die wir anzünden. Sei es in der Kirche, auf dem Friedhof oder daheim, an Gedenk – wie an Werktagen. Diese Lichter sind Zeichen der Hoffnung – Licht an dunklen Tagen! Nächsten Sonntag beginnt der Advent. All die Kerzen und Beleuchtungen weisen auf das Licht der Hoffnung, das uns den Weg ausleuchtet.

Pfarrer Frank Naumann
in: Wort der Woche, d’Region, 48, 2020